Oekoandina

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 Die Geschichte von Emilia und Antonio

Brennholzsammeln

Die nachfolgende - fiktive - Geschichte schildert Veränderungen, die durch das Projekt MeCoviPu in einem Dorf im argentinischen Andenhochland (Puna) eingeleitet worden sind.

In diese Erzählung fließen persönliche Erfahrungen von Projektteilnehmern ein und sie fasst zahlreiche Gespräche zusammen, die während des mehrmonatigen Projektes mit Kindern, Frauen und Männern in der Puna geführt worden waren.

Von Barbara Holzer, Fundación Ecoandina, San Salvador de Jujuy, Argentinien, im Mai 2004

Hola, diese Geschichte erzählt von Emilia und von Antonio, zwei Kindern aus dem Dorf Ciénaga Grande in der argentinischen Puna, im Andenhochland.

Emilia und Antonio wohnen in einem Haus, das ihre Eltern aus Lehmziegeln selbst gebaut haben. Sie leben dort zusammen mit drei älteren Geschwistern, ihren Eltern und der Großmutter.

Emilias Oma beim Brennholzsammeln

Wenn alle zu Hause sind, wird es ein bisschen eng. Aber meistens sind Emilia und Antonio draußen, vor allem jetzt in den Ferien. Sobald die Morgensonne die klare, kalte Luft etwas erwärmt hat, ziehen sie mit ihren Lamas und ihren Schafen in die Weite des Altiplano und kehren erst am späten Nachmittag wieder zurück. Auf dem Rückweg sammeln sie trockene Tolasträucher, die sie in Bündeln auf dem Rücken nach Hause tragen. Die Großmutter begrüßt sie mit heißem Mate-Tee, den sie auf dem offenen Feuer hinter dem Haus zubereitet hat. In einem Tontopf kocht dort schon seit Stunden ein kräftiger “Guiso”, ein Eintopf aus Lamafleisch, Maiskörnern, Kartoffeln und etwas Gemüse, den es zum Abendessen geben wird.

Küche der Großmutter

Gegen 20 Uhr geht die Sonne unter, dann wird es schlagartig eiskalt, im Winter bis zu 10 Grad unter dem Gefrierpunkt. Die Großmutter wickelt sich in mehrere handgewebte Schals aus Lamawolle und zieht sich zurück. Emilia und Antonio begleiten ihre ältere Schwester ins Gemeindezentrum. Bilder aus einer anderen Welt dringen zu ihnen, es wird ein Videofilm über die Großtadt Buenos Aires gezeigt. Seit etwa zehn Jahren gibt es elektrischen Strom in Ciénaga, der von einem kleinen Wasserkraftwerk erzeugt wird. Ciénaga kann Wasserkraft nutzen, weil es am Rande einer Sierra (eines Gebirgszuges) liegt. Im Nachbardorf dagegen, das in der weiten Hochebene des Altiplano liegt, haben die Häuser vom lokalen Stromversorgungsunternehmen Solarpanels auf die Dächer montiert bekommen. Die Leute schätzen diesen Fortschritt, sie haben nun nachts Beleuchtung, sie können Radio hören und die ersten besitzen auch schon einen Videorecorder. Aber einige Leute beklagen sich auch, weil sie nun jeden Monat eine Stromrechnung zu bezahlen haben.

Don Armando und Doña Sebastiana, die Eltern von Emilia und Antonio, sind im “Pueblo viejo” (im alten Dorf) geblieben, einen Tagesmarsch vom Dorf entfernt. Zu Zeiten der Inkas (vor rund 500 Jahren) wurden dort Hochlandkartoffeln, Mais und Quinua angebaut. Komplexe soziale Strukturen regelten damals den Ackerbau und sicherten die Ernährung der Bevölkerung. Im Zuge der Kolonisierung durch die Europäer haben sich die traditionellen Sozialstrukturen der Kolla Indianer in diesem Teil des Altiplano weitgehend aufgelöst, und in der Folge verfielen auch die aufwendigen Bewässerungssysteme und die mit Steinmauern (Pircas) befestigten Terrassen.

Im letzten Jahrhundert sind die Männer über mehrere Generationen hindurch aus den Punadörfern weggezogen. Sie fanden Arbeit in den zahlreichen Minen, auf dem Bau in den Städten oder bei der Zuckerrohrernte im Tiefland. Zurück blieben die Frauen mit den kleinen Kindern und mit den Alten.
Unter dem Eindruck der anhaltenden schweren Wirtschaftskrise in Argentinien hat sich die Situation in den letzten Jahren geändert; junge Leute kehren aus den Städten in ihre Dörfer zurück, der Anbau von Nahrungsmitteln im Andenhochland wird wieder aufgenommen.

 

 


Don Armando und Doña Sebastiana haben sich mit Nachbarn zusammengeschlossen. Gemeinsam haben sie Steine geschleppt und eine Parzelle Land für die Aussaat von Hochlandkartoffeln und von Gemüse vorbereitet. Das größte Problem in dieser semiariden Hochgebirgslandschaft ist die Wasserversorgung. Doña Sebastiana erinnert sich, wie sie noch im vergangenen Jahr Eimer um Eimer Wasser aus einem entfernt gelegenen Wasserloch auf das kleine Feld geschleppt hat. Trotz aller Anstrengungen konnte sie mit dieser Methode gerade einmal ein paar Reihen Zwiebeln und Kartoffeln bewässern.

In diesem Jahr waren unter Anleitung von Technikern der Fundación EcoAndina im Rahmen des Projektes MeCoViPu (Verbesserung der Lebensbedingungen in der Puna) Schläuche zur Tröpfchenbewässerung verlegt worden. Eine kleine solarbetriebene Wasserpumpe kann das Wasser aus einem tiefergelegenen Bachlauf auf die höhergelegene Terrasse pumpen. Mit Hilfe dieser modernen, angepassten Kleintechnologien können die knappen Wasserressourcen optimal ausgenutzt und damit grössere Flächen bewässert werden.

In einem Nachbardorf konnte eine Familie im vergangenen Jahr 400 Kilo Kartoffeln auf einer kleinen Parzelle ernten, die früher ohne Tröpfchenbewässerung gerade einmal 40 Kilo hervorgebracht hat. Für dieses Ziel arbeiten auch Don Armando und Doña Sebastiana hart, sie wollen ihre Familie besser ernähren, und sie wollen weniger auf die staatlichen Unterstützungsprogramme angewiesen sein. Sollte die Ernte, wie sie erhoffen, gut ausfallen, so können sie einen Teil des Gemüses auf den lokalen “Ferias” (Märkten) gegen luftgetrocknetes Lamafleisch, gegen Mehl oder andere Artikel eintauschen.

Solare Grossküche in Emilia´s Schule

Emilia geht schon in die Schule, in die zweite Klasse der öffentlichen Grundschule am Ort. Fast genauso wichtig wie das Lesen- und Schreibenlernen ist das tägliche Mittagessen. Zwei Köchinnen kochen für die 60 Kinder der Dorfschule jeden Tag ein Essen – in gro0en Töpfen werden auf dem offenen Feuer Eintopfgerichte, Suppen und manchmal auch ein Nachtisch zubereitet. Das Schulessen ist kostenlos, jedoch müssen die Eltern für jedes Kind pro Woche ein großes Bündel Brennholz beisteuern. Emilias Vater ist mehrere Stunden unterwegs, um in den Bergen ein Bündel “Tola” von etwa 30 Kilo Gewicht zu sammeln und auf dem Rücken zur Schule zu tragen.

Doch vor kurzem hat sich einiges geändert: vor der Schulküche wurde ein großer Parabolspiegel aufgestellt, der das Sonnenlicht in einem Brennpunkt konzentriert. Die Kraft des konzentrierten Sonnenlichtes ist so stark, dass ein Stück Holz sofort in Flammen aufgeht.

Die Köchin in Emilias Schule

Der Parabolspiegel wird so ausgerichtet, dass die konzentrierten Sonnenstrahlen immer direkt auf eine speziell dafür eingerichtete Kochstelle gerichtet sind. Von den frühen Morgenstunden bis zum späten Nachmittag wird nun in der Schulküche mit der Kraft der Sonne gekocht oder heißes Wasser zubereitet. Alle im Dorf waren überrascht, dass es wirklich funktioniert und dass es genauso schnell geht wie auf der herkömmlichen Feuerstelle.

Emilias Tante, Doña Geronima, hat sogar schon einen eigenen Solarkocher im Hof vor ihrem Haus aufgestellt: einen runden Parabolspiegel auf einem drehbaren Metallgerüst.

Doña Geronima kocht Mate Tee

Darin kocht Doña Geronima nun die Eintöpfe für ihre achtköpfige Familie. Und wenn gerade nicht gekocht wird, steht immer ein Kessel mit heißem Wasser im Solarkocher. Doña Geronima hat lange überlegt, ob sie die hohen Ausgaben für einen Solarkocher wagen sollte. Doch in der letzten Zeit mußte sie immer weitere Strecken marschieren um das nötige Brennholz zu beschaffen. Früher hat sich die Familie manchmal zusätzlich eine Gaskartusche beim örtlichen Händler gekauft, doch im vergangenen Jahr haben sich die Preise für Flüssiggas verdoppelt. Dazu kommen noch die anderen notwendigen Ausgaben: vor allem Schuhe und Kleidung für die Kinder, Schulhefte, Medikamente und vieles mehr; alles ist teurer geworden, nur ihr Gehalt als Hilfskrankenschwester in der örtlichen Gesundheitsstation ist schon seit Jahren gleichgeblieben. Als ihr nun angeboten wurde, sie könne einen Parabolkocher in mehreren Raten bezahlen, da hat sie zugegriffen, und heute möchte sie ihren Solarkocher nicht mehr missen. Sie kann ihn jeden Tag benutzen, denn hier oben auf dem Altiplano, in 3.500 Metern Höhe, da scheint die Sonne das ganze Jahr und es regnet nur sehr selten.

Emilias Mutter hat zunächst nicht glauben wollen, dass man tatsächlich mit der Sonne kochen kann. Es kam ihr irgendwie ungeheuer und magisch vor, weil man keinerlei Flammen sehen konnte! Sie hat das Geschehen in Geronimas Haushalt mehrere Monate lang beobachtet. Heute denkt sie darüber nach, wann sie ihren eigenen Solarkocher kaufen kann. Vielleicht, wenn sie in diesem Jahr mehrere Lamas und Schafe in die Fleischereien der Kreisstadt verkaufen kann... auch für sie wäre ein Kauf ohne Ratenzahlung praktisch unmöglich.

 


Emilias kleiner Bruder Antonio ist in diesem Jahr in die obligatorische Vorschulklasse für Fünfjährige gekommen. Die Umstellung fiel ihm zunächst schwer, denn nun muss er sich mehrere Stunden am Tag in einem geschlossenen Raum aufhalten, soll stillsitzen und zuhören. Aber es gefällt ihm auch: Geschichten hören, malen dürfen, die ersten Buchstaben lernen. Antonio hat Glück, seine Klasse hat ein neues Gebäude bezogen, und das hat etwas ganz Besonderes: eine solare Fußbodenheizung. Auch im Winter, wenn das Eis in der Pfütze auf dem Schulhof den ganzen Vormittag nicht auftaut, ist es in Antonios Klassenzimmer angenehm warm. Er kann sich sogar zum Spielen auf den warmen Fußboden setzen. Emilias Klasse hingegen ist noch in dem alten Schulgebäude untergebracht. Von 9 bis 13 Uhr muss Emilia in einem völlig ungeheizten Raum ausharren, nur in den Pausen kann sie sich in der Sonne auf den Schulhof etwas aufwärmen. Emilia und ihre Freundinnen sind deshalb oft erkältet. Im Winter hustet die ganze Klasse wochenlang, auch Blasenentzündungen sind häufig.

Antonios Vater hat zusammen mit den anderen Männern des Dorfes beim Bau des neuen Schulgebäudes mitgearbeitet. Unter Anleitung der Techniker der Stiftung EcoAndina und des Vereins Solar Global e.V. haben die Männer einen Steinspeicher unter dem Fußboden verlegt und auf dem Dach des Gebäudes einen Warmluftkollektor installiert. Tagsüber wird in diesem Warmluftkollektor unter Sonneneinwirkung warme Luft produziert. Ein ebenfalls auf dem Dach montiertes Solarpanel versorgt eine Reihe kleiner Ventilatoren mit Energie. Diese Ventilatoren wiederum erzeugen einen kontinuierlichen Luftstrom, welcher die auf dem Dach produzierte Wärme abzieht und in den im Inneren des Gebäudes liegenden Wärmespeicher leitet. Auf diese Weise wird der aus Wackersteinen bestehende Speicher mit Energie beschickt und aufgeheizt. Der Steinspeicher gewährleistet tagsüber eine angenehme Raumtemperatur, und er verhindert das nächtliche Auskühlen des Gebäudes. Außerdem wurde in diesen Kreislauf eine Warmwasserversorgung integriert. Mittels eines Wärmetauschers wird ein Teil der in dem Warmluftkollektor produzierten Energie zur Erwärmung von Wasser genutzt. Antonio und seine Freunde freuen sich an dem fließenden warmen Wasser, wenn sie von ihrer Lehrerin zum Händewaschen geschickt werden.

Früher ist Antonio immer schnell davongerannt, wenn ihm seine Mutter die Haare waschen wollte – mit der Waschschüssel auf dem Hof hinter dem Haus, wo ihm im Winter der eisige Wind in die nassen Haare fuhr und er hinterher oft Ohrenschmerzen hatte. Heute macht ihm sogar das Baden Spaß. Einmal in der Woche geht er mit seiner Schwester in das neueröffnete Baño Solar Andino (Solares Andenbadehaus). Dort kann er sich eine von drei vorhandenen Duschkabinen aussuchen und sich unter einen Strahl richtig heißen Wassers stellen. Das Duschwasser wird von einem Sonnenkollektor erwärmt, der sich zusammen mit einem großen Warmwasserspeicher auf dem Dach des Gebäudes befindet. Er hat einen doppelten Kreislauf, der gewährleistet dass der Kollektor während der eisigen Hochlandnächte nicht einfriert. Nach seinem Bad kann sich Antonio eine Weile in einem sonnendurchfluteten Vorraum aufhalten, wo er sich in aller Ruhe seine Haare trocknet und Pullover und Anorak überzieht. Erst wenn er die dicke Wollmütze auf seinen frischgewaschenen Kopf gestülpt hat, wagt er sich auf die Straße hinaus, wo die dünne Hochgebirgsluft trotz des strahlenden Sonnenscheins recht kalt ist.

Auch beim Bau des Baño Solar Andino haben die Eltern von Emilia und Antonio mitgeholfen. Zusammen mit anderen Männern und Frauen haben sie Lehmziegel hergestellt, Mauern aufgeschichtet, Leitungen verlegt. Direkt im Anschluss an das Gebäude haben sie eine Grube ausgehoben, welche mit speziell geschichtetem Erdmaterial aufgefüllt und mit Schilfpflanzen bestückt wurde. Diese biologische Pflanzenkläranlage ist in der Lage, das anfallende Abwasser soweit vorzuklären, dass es wieder zu Bewässerungszwecken genutzt werden kann. Das ist ein wichtiger Aspekt in einer Gegend, wo jeder Tropfen Wasser eine Kostbarkeit ist. Die Gemeindemitglieder haben eine Kommission gegründet, die den Betrieb des öffentlichen Badehauses regeln soll, damit alle daran interessierten Familien diese neue Möglichkeit nutzen können. Noch gibt es viel zu diskutieren, es ist ja auch alles ganz neu...

doch das ist hauptsächlich für die älteren Dorfbewohner so.....für Emilia und für Antonio ist das alles schon ganz selbstverständlich geworden!

Solare Großküche

Installieren einer solarbetriebenen Wasserpumpe

Kartoffelanbau mit Tröpfchenbewässerung in Ciénaga

Solarer Parabolkocher, wie er von der Gruppe PIRCA in Argentinien hergestellt wird

Techniker der Fundación EcoAndina und des Vereins Solar Global beim Installieren einer solarbetriebenen Wasserpumpe

Don Armando auf seinem Feld -
Kartoffelanbau mit
Tröpfchenbewässerung

Möhrenanbau ohne Tröpfchenbewässerung

Lage in Südamerika

Typisches Punadorf

Möhrenanbau ohne Tröpfchenbewässerung

Die geographische Lage

Typisches Dorf in der Puna

Antonios neues Schulgebäude

Solare Fussbodenheizung im Kindergarten in Cusi Cusi

Antonios Schule wird gebaut

Antonios neues Schulgebäude; Montage des Warmluftkollektors
für die Solarheizung

Kindergarten in Cusi Cusi; Innenraum mit
solarer Fußbodenheizung

Antonios Schule wird gebaut; Neubau mit solarer Fußbodenheizung und
solarer Warmwasserversorgung

 

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